Regen am Nil-Die Leseprobe

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Prolog

Samstag, den 17. August 1963

Der Regen ließ auf sich warten. Zum hundertsten Male wischte sich Ernst Wohlfarth die Glatze ab, der Schweiß tropfte ihm in die Augen. Seinen Job als Museumswärter versah er schon seit beinahe 40 Jahren. Die Klimaanlage des Frankfurter Senckenberg-Museums schuf normalerweise ein erträgliches Klima. Aber heute war der Teufel los gewesen. Die ägyptische Abteilung des Museums hatte eine Sonderausstellung eröffnet, deren Besucheransturm die Anlage kaum bewältigen konnte. Noch dazu stand die Luft seit einer Woche still in Frankfurt und das Thermometer kletterte über die 30° - Marke.

Isch weiß gar nit, was die all’ hier wolle!“ brummelte er vor sich hin, während er es sich auf einem Stuhl in einer Ecke bequem machte, von der er alles beobachten konnte. Die Ausstellung beinhaltete die Mumie und die Grabbeigaben des Prinzen Chaemwese, die von dem Ägypten-Forscher Auguste Marriette entdeckt hatte. Ausgrabung war wohl das falsche Wort für die ersten Ägypten-Forscher, denn die Geduld zum Graben besaßen die Forscher damals noch nicht. Vielmehr bediente man sich einer Stange Dynamit und sammelte dann den Trümmerregen ein. In erster Linie erhoffte man sich Reichtümer und Gold, erst danach kam die Frage nach dem Woher und anderen Details aus dem Leben der Verstorbenen. Neuere, sorgfältigere Forschungen, brachten allerdings genauere Einzelheiten aus dem Leben des Prinzen zu Vorschein. Bei den letzten Grabungen war man auf Tontäfelchen gestoßen, die einen Schriftverkehr mit seinen Jugendfreunden darstellten. Darin beklagt er sein Leben, das er streng nach den religiösen Riten führen muss. „Wie sehr vermisse ich sie, die schönste... Blume am Nil, den Duft ihres Körpers gleich den Blüten des Baumes(Mandeln?)..., den mein Vater uns gebracht von seiner siegreichen Expedition ins Fremdland nach Osten zu des Horus (Pharao) Ruhm und Wohl. Ihre Augen sind den Sternen gleich. Die Priester des Amun-Re nahmen sie mir, weil sie niederen Standes sei; die rituellen Waschungen sollen meinen Geist reinigen von ihrer Erinnerung. Doch was ist der fette Körper des Priesters gegen die Rundungen ihres Körpers, die Blüte des Lotos, die mir alle Freuden des Lebens schenkte. Wenn ich einst Pharao werden sollte werde ich Sie nach Nnam su jer (Nubien) schicken zu den Krokodilen, das gelobe ich bei Osiris und allen Göttern.“

Diese Worte waren es, die eine antike Romeo und Julia Story vermuten ließen und die Herzen der Menschen bewegte. Wenn Ernst Wohlfarth an seine Rita zu Hause dachte, fielen ihm weniger schmeichelhafte Worte ein, beim Stichwort Ägypten dachte er eher an Nilpferde. So konnte er dem Empfinden des Prinzen und seinem Seelenschmerz wenig abgewinnen. „Dumm Gewäsch!“ nannte er es. Um so mehr ärgerte es ihn, dass ganz Frankfurt wohl anderer Meinung war als er. Keine Zeitung, die nicht berichtete. In einer halben Stunde würde das Museum schließen, aber den Eingang hatte man schon vor 2 Stunden dicht gemacht. Zu viele Menschen waren daran interessiert, wer wohl die unbekannte Schönheit vom Nil war, denn genau das war nicht aus den Tafeln zu erkennen.

So blieb viel Spielraum für die Phantasie der Besucher, die vor allem die Tafel und auch den Prinzen sehen wollten, dessen Mumie im Raum aufgebahrt war. “Räucherschinken“ war der Kommentar von Ernst Wohlfarth, der sich im Moment mehr für das Wetter interessierte. Dunkle Wolken hatten sich über Frankfurt zusammengezogen, die sich wohl in der nächsten Zeit über der Stadt entladen würden, um den lang ersehnten Regen zu bringen. Aber vorerst hatte sich nur die Schwüle ins Unerträgliche gesteigert.

Auch aus diesem Grund hatte man den Eingang vorzeitig geschlossen, um die Menge zu zerstreuen, die vor dem schattenlosen Museumsvorplatz wartete. Manch einer hatte seinem Kreislauf in der prallen Sonne zuviel zugemutet und war zusammengeklappt, so dass die Rettungsdienste alle Hände voll zu tun hatten. Die aufziehenden Wolken hatten die Situation auch nicht viel verbessert.

Jetzt war der Vorplatz menschenleer. Wer konnte, verzog sich in einen kühleren Raum und wartete auf Abkühlung durch das aufziehende Gewitter an diesem Spätnachmittag.

Das Museum leerte sich allmählich und Wohlfarth erhob sich von seinem Stuhl, der ihm am Körper zu kleben schien. Er ging an das dahinter liegende Fenster, um nach dem Stand der Dinge zu sehen. In seinen Gedanken war er bei einem kühlen Glas Apfelwein, das seine Rita für ihn bereit halten würde, und in seinen Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen .

Schlagartig wurde er in die Realität zurückgeholt, als ein großer Blitz am Himmel zuckte und sofort darauf ein Knall die andächtige Stille zerriss, der die Scheiben des alten Gebäudes erzittern ließ. Erschrocken trat Wohlfarth einen Schritt zurück. Der Himmel öffnete seine Schleusen und brachte das ersehnte Nass. Der fallende Regen klatschte gegen die Scheiben und erzeugte eine konstante Geräuschkulisse, die nun in schneller Folge von Blitz- und Donnerschlägen unterbrochen wurde.

Na prima!“, dachte Wohlfarth. „Gleich zu viel des Guten, so komm isch abber nit’ trocken heim!“ Verärgert sah er durch die Scheibe und folgte den undeutlichen Konturen einiger Mutiger, denen der Sturm die Schirme aus der Hand riss und über den Platz trieb. Das Gewitter steigerte sich und sorgte dafür dass die Autos stehen blieben, weil die Scheibenwischer das niederprasselnde Wasser nicht bewältigen konnten.

Die Besucher hatten sich im Vorraum des Museums zusammengerottet wie eine Herde Schafe, denn die offizielle Öffnungszeit war vorbei. Keiner traute sich nach draußen, weil das Gewitter immer heftiger zu werden schien. Das Klatschen des Regens wurde nun von Hagelkörnern übertönt die rasch an Größe zunahmen. Das Trommeln gegen die Glasfenster wurde rasch heftiger, so dass Wohlfarth Bedenken hatte, sie würden dem Druck standhalten. Er würde wohl noch etwas auf seinen geliebten Apfelwein warten müssen, er konnte ja schließlich nicht das Häuflein Menschen im Vorraum dem Sturm zum Fraß vorwerfen. Ängstlich duckten sich die Frauen bei jedem Blitzschlag, aber die Männer guckten auch nicht viel mutiger nach draußen. Dort war es rabenschwarze Nacht geworden. Alle Geräusche wurden vom Jaulen des Windes und dem Trommelfeuer des Hagels geschluckt. Nur wenn ein Blitz über den Himmel zuckte, war unscharf etwas von draußen zu erkennen.

Ein Besucher löste sich aus der Menge und nutzte die verbleibende Zeit, um noch einmal die Mumie des Chaemwese zu betrachten. Ihn schien das tobende Inferno draußen wenig zu beeindrucken. Allen anderen wurde klar, dass ein Unwetter wie dieses seit ewigen Jahren nicht stattgefunden hatte. Ernst Wohlfarth konnte sich nicht vorstellen, dass es heute etwas Schlimmeres für ihn geben könnte als eine solche Naturgewalt, aber er sollte sich irren, und zwar gewaltig. „Ob es am Nil auch mal regnet?“, dachte er noch, kurz bevor das Unheil seinen Lauf nahm.

Der Druck der Windböen auf die Scheiben und die Erschütterung durch den Hagel war zu groß geworden für das alte Fenster an dem Wohlfarth stand. Der Rahmen gab ein ächzendes Geräusch von sich das ihn unmittelbar zur Seite springen ließ. Bruchteile von Sekunden später barst die Scheibe, ein Schwall Wasser gemischt mit Hagel und Glassplittern stürzte sich in den Raum und auf den Platz an dem Ernst Wohlfarth gerade noch gestanden war. Zeitgleich ging die Sirene der Alarmanlage los, die Hölle brach über ihn herein. Gelähmt vor Schreck war er unfähig sich zu bewegen.

Mehr aus den Augenwinkeln nahm er wahr dass der Besucher vor Chaemweses Mumie diese plötzlich in der Hand hielt. Zuerst sah es so aus als wollte er sie in Sicherheit bringen, aber im nächsten Moment warf er sie auf den Boden, wo sie in hunderte Stücke wie morsches Holz zerbrach. Auf den Knien riss er die verbliebenen Binden von dem Teil das zuvor den Brustkorb gebildet hatte. Dabei zerfiel dieser in noch kleinere Stücke. Als man Wohlfarth später vernahm gab er zu Protokoll, dass der Besucher rief: „Oh Gott, er ist es nicht!“ Das war wohl der Moment in dem ihm klar wurde, dass er nicht träumte. „Des gibt’s doch nit!“ schrie er und rannte auf den Täter los. Von überall her kamen jetzt seine Kollegen gelaufen, aber er war derjenige, der dem scheinbar Irren am nächsten war. Kurz bevor er ihn greifen konnte, rutschte er auf dem hereinbrechenden Eishagel aus und schlug hart auf den Boden auf. Wie im Nebel nahm er wahr, dass der Fremde über ihn hinweg setzte und auf das zerbrochene Fenster zulief. Er sprang auf den Stuhl von Ernst Wohlfahrt und von dort auf den Fenstersims. Gespenstisch hob sich der Umriss seines Körpers gegen das Chaos draußen ab, das kurz von einem Blitz erhellt wurde. Dann stieß er sich ab und landete auf den Steinplatten des Vorplatzes. Er sah die Polizisten noch, die sich durch die Alarmanlage aufgeschreckt durch den Sturm kämpften. Doch bevor sie ihn erreichen konnten krachte ein Blitz in eine Fahnenstange neben ihm am Rande des Vorplatzes. Als gleißendes Licht sprangen Millionen Volt an Energie aus dem Mast und stachen in den Körper des Fremden. Wie eine Stoffpuppe wirbelte er über den Vorplatz und blieb reglos liegen.

Kurz darauf war der Sturm so schnell vorbei wie er gekommen war. Außer dem Toten hinterließ der Sturm eine Schneise der Verwüstung und einen pensionsreifen Museumswärter. Die Zeitungen am nächsten Tag hatten genug Material um das Sommerloch zu füllen.

Das Talfest

Beeile dich, Sohn! Der Pharao wird gleich da sein!“ Die Barke hatte am westlichen Ufer des Nils angelegt, um ihre Passagiere aussteigen zu lassen. Lediglich der halbwüchsige Junge war noch im Boot und sah fasziniert auf die Flotte der Schiffe die den Nil herauf segelte. Alle Boote waren von Fackelschein erleuchtet, denn es war Neumond im zweiten Monat des Schomu, des ägyptischen Sommers. Der Schein der Fackeln spiegelte sich golden in den Fluten des Nil. Bereits am Tage war die goldene Barke des Amun aus seinem Heiligtum in Theben aufgebrochen, um in Begleitung der Götter Mut und Chons über das Netz der Kanäle zum Totentempel am Rande der Wüste zu gelangen. Jetzt war alles bereit zur Ankunft des Pharao.

Schon von weitem kündigten Sistrum, Trommeln und Bläser das Nahen des Herrschers der beiden Länder mit seiner Familie und seinem Hofstaat an. „Senenmut, beeile dich, sonst werden wir zu spät kommen!“ Erst nachdem er ihn an die Hand nahm gelang es dem Vater, seinen Sohn von dem Anblick zu lösen. Wie seit vielen Jahren kam Senenmut in der Nacht mit seiner Familie zum alljährlichen Talfest auf dem westlichen Nilufer,um die Toten zu ehren und mit ihnen gemeinsam zu feiern. Nach dem ägyptischen Glauben waren die Seelen der Verstorbenen in der Lage, mit ihren Familienmitgliedern zu feiern und unter ihnen zu wandeln. Aber bevor man sich der eigenen Familie widmete, wartete man gespannt auf das Erscheinen des Pharao der mit seinem Gefolge den Nil heraufkam. Das war der Höhepunkt im Jahreslauf von Senenmuts Familie, die Menschen kamen von überall her um den Sohn des Horus zu sehen, denn er war direkter göttlicher Abstammung; ihn zu sehen verhieß Glück und Segen für das Jahr. Durch die Hand des Vaters geführt, bahnte sich die Familie einen Weg durch die immer dichter werdende Traube an Menschen. Wachen hatten einen Bereich am Nilufer abgesperrt, dessen Zugang den niedriger gestellten Untertanen verwehrt war. Als sie den Bereich durchschritten, trat ein Soldat mit seinem Schwert fragend auf sie zu. „Halt im Namen des Pharao Thutmosis, des Ersten! Wer seid ihr?“ „Ich bin Ramose aus Iuni, Schreiber des Pharao im Tempel des Amun, mit meiner Frau Hatnofer und meinen sechs Kindern.“ „ Sei willkommen, Ramose.“ Der Soldat senkte seine Waffe. Erkennendes Lächeln lies die Spannung in seinem Gesicht weichen. „Die Götter waren dir gnädig und haben dir eine große Familie geschenkt. Deine Söhne sind groß geworden seit dem letzten Mal. Ich kenne dich aus dem Tempel. Ihr müsst euch beeilen!“ Er wies ihnen einen Platz an, von dem sie die Ankunft beobachten konnten.

Die Barke des Pharao hatte festgemacht. Die Musik hatte mit seinem Eintreffen an Lautstärke zugenommen, die Senenmut in den Ohren schmerzte. Die Soldaten bildeten ein Spalier für den Hofstaat, der in kostbare Gewänder gekleidet an Land kam. „Heil dir, Thutmosis!“ jubelte die Menge, als der Herrscher erschien. Senenmut war stumm vor Staunen, als er die Fülle an Reichtum erblickte, die die golddurchwirkten Gewänder des Pharao und seiner Familie ausstrahlten. Golden glänzten die Ringe und die Armreifen. Der Brustschmuck, ebenfalls aus purem Gold, warf das Licht der Fackeln zurück und war mit edlen Steinen verziert. Die Doppelkrone als Zeichen der Herrschaft über die beiden Länder trug die Uräusschlange. Der künstliche Kinnbart war ebenso das Zeichen der pharaonischen Würde und wies ihn als Sohn des Horus und rechtmäßigen Herrscher aus.

Senenmut stimmte in die Jubelrufe ein, als sich der farbenprächtige Zug mit dem Pharao an der Spitze in Bewegung setzte und Kurs auf die Gedenkstätten hielt. So strömte die Menge zu den Hügeln, jede Familie ging zu den Begräbnisstätten ihrer Vorfahren. Auf dem Weg hatte Senenmut viele Fragen an seinen Vater, die dieser wie immer geduldig beantwortete. „Vater, warum feiern wir das Talfest?“ Ramose freute sich insgeheim über die Wissbegier seines Sohnes. „Weil wir so die Erinnerung an deine Vorfahren erneuern. Ihr Ba, ihre Seelen, werden unter uns sein und mit uns feiern und so auch ihr Ka, ihre Lebenskräfte erneuern.“ Sie erklommen einen steilen Pfad am Abhang eines Berges der sie zu einem kleinen Totentempel führte. Er war in Form eines umgekehrten T's angelegt, dessen Längsachse in den Fels führte. Dort stand in einer Nische eine Statue des Osiris, des Herrn der Unterwelt, mit den Gesichtszügen eines ihrer Vorfahren. Die kürzere Querachse war zu einem Raum erweitert in dem die Familie Platz nahm, um Opferspeisen und Getränke zu sich zu nehmen. Der Raum war angenehm kühl gegen die Luft draußen im Tal, denn der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht; erst früh am Morgen kühlte sich die Luft etwas ab. Von überall her hörte man den Gesang der Menschen die frohe Andacht hielten. Auch Senenmuts Familie stimmte mit in die alten Weisen ein. Räucherkerzen verbreiteten einen angenehmen Duft im Raum, der an allen Wänden kunstvoll bemalt war. Senenmut entzifferte die alten Schriften, die ihn sein Vater gelehrt hatte: „Der Gerichtshof, der die Elenden richtet, wird nicht milde gestimmt sein an dem Tag, da die Unglücklichen verurteilt werden. Schlimm ist es, wenn der Ankläger allwissend ist. Vertraue nicht auf die Länge der Jahre, sie sehen die Lebenszeit wie eine Stunde an. Nach dem Sterben bleibt der Mensch allein. Und seine Taten werden neben ihm auf einen Haufen gelegt... Wer das Jenseits erreicht, ohne Unrecht getan zu haben, der wird sein wie Gott, frei schreitend wie die Herren der Ewigkeit.“

Ich bin stolz auf dich, mein Sohn,“ sagte Hatnofer. „Du bist sehr geschickt im Lesen der Schrift, bald kannst du wie dein Vater als Schreiber arbeiten.“ „Das ist wahr,“ pflichtete ihr Ramose bei und erklärte die Bilder: „Anubis, der schakalköpfige Gott, führt uns nach unserem Tod vor das Totengericht. Toth, der allwissende, wird dein Herz wiegen. Wenn du die Wahrheit sprichst, wird es leichter sein als eine Feder. So wird Osiris deinen Körper wieder mit deinem Ka und Ba vereinen. Die die Unwahrheit sprechen, werden aber von dem krokodilköpfigen Monster verschlungen werden, sie müssen den zweiten Tod sterben. Denn dann wird dein Herz schwer sein, wenn es voll Lüge ist und die Waage wird sich senken. Dann gibt es kein Entrinnen mehr, du bist für alle Zeit verloren!“ Respektvoll lauschte Senenmut den Erklärungen seines Vaters, während er jedes Detail der Bilder in sich aufnahm.

Während der gesamten Nacht aßen und tranken sie, hielten Zwiegespräch mit ihren Ahnen und ehrten sie durch ihre Anwesenheit. „Höre, mein Sohn, mit nichts kannst du mehr Ehre erlangen, als dass du deine Vorfahren ehrst, denn nur so können sie im Binsengefilde leben ohne Sorge und in Freuden. Wenn deine Mutter und ich einst ins Reich des Osiris eingegangen sind, wird es deine Aufgabe sein uns zu ehren und deinen Kindern von uns zu erzählen. Behüte unser Grab vor Räubern, denn nur wenn unsere Körper unversehrt sind, wird es uns möglich sein, im Reich des Osiris zu wandeln .“ Senenmut war stolz darauf, dass sein Vater ihn mit dieser Ehre betraute. Er schwor sich insgeheim, seine Vorfahren niemals enttäuschen zu wollen. Mit stolz geschwellter Brust stimmte er in den Gesang seiner Brüder und Schwestern ein.

Bis zum Aufgang der Sonne tanzten und sangen sie und ehrten Amun-Re im ersten Licht des neuen Tages mit geheimnisvollen, überlieferten Ritualen. Dann zogen alle zurück in ihre Dörfer auf der rechten Nilseite und noch lange konnte man die Musikinstrumente hören, die die Nilbarken bei ihrer Überfahrt zum Ausklang des Talfestes begleiteten. Langsam verstummten die Trommeln und Leiern, als sich die Bewohner zum Schlafen in ihre Häuser zurückzogen. Ohne das Schreien der Ibisse wäre absolute Ruhe im Niltal gewesen.

Doch fast unmerklich konnte man ein helles Klingeln vernehmen, das irgendwie nicht hierher gehörte. In immer gleichen Abständen durchschnitt es die Stille und verzerrte das Bild des dösenden Niltals zunehmend. Immer lauter werdend drängte es sich in den Vordergrund und ließ keinen Raum mehr im Kopf. Das Panorama bekam Risse wie eine Glasscheibe und zersplitterte in tausende Einzelteile. Dann war da nur noch dieses Klingeln. Es war das Klingeln eines Telefons ...

Der Skarabäus

Mittwoch,19.August 1998

Es kam von weit her aus tiefem, dunklem Raum. Ich konnte es nicht einsortieren, woher es kam und ich wollte es auch nicht wissen. Ich wollte nur meine Ruhe. Aber es ließ sich nicht abschütteln. Ein durchdringender Ton, der sich ins Bewusstsein sägte, dröhnte in meinem Schädel. Mein Wecker klang nicht so, es musste etwas anderes sein, was mich in diese Welt zurückholte. Erst als sich der Anrufbeantworter einschaltete konnte ich das Folterinstrument identifizieren das mich so quälte. Noch blind mit geschlossenen Augen tastete ich nach dem Quälgeist auf meinen Nachttisch und nahm den Hörer ans Ohr. „Menzl, hallo?“ „Erwachet, edler Ramses, ein neues Jahr hat begonnen. Kleopatra wartet auf Euch. Nehmt eure stählernen Flügel und begebt euch auf die Reise zu ihr!“

Guten Morgen, Johannes!“ „Guten Morgen, Felix! Hast du mich sofort erkannt?“ „Ich weiß nicht, wer sonst noch morgens um sieben Uhr so einen Blödsinn erzählen kann. Dafür braucht man kein Abitur!“ „Schönen Dank auch.“ Das war die Retourkutsche für den frühen Weckruf gewesen, den nur Insider verstanden. Mein Freund Johannes hatte vor gehabt zu studieren, aber dafür fehlte ihm das Abitur. Er hatte auch Ansätze gemacht, im zweiten Anlauf seinen höheren Schulabschluss zu machen, aber aus Angst vor der Prüfung hatte er diesen Traum nie in die Tat umgesetzt. Zugetraut hätte ich es ihm auf jeden Fall, auf den Kopf gefallen war er nicht. Statt dessen war ein exzellenter Allround-Handwerker mit eigener Firma aus ihm geworden. Seine Arbeiten konnten sich sehen lassen. Also kein Grund sich in überfüllten Universitäten zu quälen und am Ende mit Diplom, aber ohne Job da zu stehen.

Aber wir kannten unsere wunden Punkte gegenseitig sehr genau, es war eine Art Sport für uns geworden den Finger auf die Wunde zu legen, ohne uns aber tatsächlich weh zu tun. Im Gegenzug kannte jeder aber auch die Geheimnisse des anderen. „Du hast heute Nacht wieder geträumt, oder?“ fragte er besorgt. „Wenn das Telefon nicht geklingelt hätte, vielleicht sogar mal bis zum Happy End ...“ lenkte ich ab. „Wenn's eines wird.“ „Mach wir nur Mut. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Aber woher weißt du, dass ich geträumt habe?“ Er erstaunte mich immer wieder mit seinen treffsicheren Diagnosen. „Dafür brauche ICH kein Abitur. Du warst gestern Abend auf deiner Geburtstagsparty nur körperlich anwesend. Als Gabriele dich um Milch für den Kaffee gebeten hat, hast du ihr Ketchup gebracht.“ Jetzt musste ich doch lachen. „Ich hoffe, sie hat ihn nicht getrunken?“ „Meine Frau ist zwar blond, aber sie hat sich vor lauter Kummer um deinen Geisteszustand die Milch selbst geholt. Wann geht denn dein Flieger?“ „Erst heute Abend um sechs. Wie gesagt, wenn das Telefon nicht geklingelt hätte, wäre noch Zeit gewesen zum Ausschlafen ...“ „Mein lieber Felix, die Botschaft ist angekommen. Aber wie du weißt, bin ich viel beschäftigter Handwerker und habe Aufträge zu erfüllen. Also dachte ich, ich wünsch' dir noch mal vorher schönen Urlaub.“ Irgend etwas war faul an der Sache, das konnte ich riechen. Schönen Urlaub konnte er mir auch gestern Abend wünschen. „Johannes, rufst du vom Handy an?“ „Richtig erraten.“ „Und wo bist du jetzt?“ „Auf dem Marktplatz in Geisenheim. Ich sitze auf den Stufen des Domes und schau zu so einem alten Trödelladen gegenüber.“ „Ich habe so was vermutet. Also komm schon rüber.“ Er hatte die ganze Zeit vor meinem Haus gesessen und erst mal die Stimmung geprüft! Ich schob mich aus dem Bett und zog mir schnell Jeans und Pullover an, bevor ich die Treppe ins Erdgeschoss herunter schlurfte. So ganz wach war ich noch nicht, mein Traum ging mir noch immer durch den Kopf. Ich schloss die Tür zu meinem Geschäft auf und ließ Johannes herein, der nach unserem Begrüßungshandschlag zielstrebig den Weg in die Küche nahm, um Kaffee aufzusetzen. Ich vergewisserte mich, dass ich die Tür wieder verschlossen hatte und folgte ihm. „Du sahst echt nicht gut aus gestern,“ eröffnete er sein Gespräch. „Danke für das Kompliment. Ich bin halt wieder ein Jahr älter geworden.“ „Aber mit 35 Jahren sollte man schon die Realität von der Phantasie auseinander halten können. Und da, glaube ich, hast du ein paar Probleme.“ Wie gesagt, wir kannten unsere Geheimnisse und er war einer der wenigen, die von meinen Träumen wussten. „Jo, ich weiß nicht, wie ich es dir noch sagen soll. Es ist nicht nur ein Traum. Es sind wie längst vergessene Erinnerungen. Wenn ich davon träume, ist es so als erlebe ich es nochmals. Und die Träume sind für sich recht seltsam und scheinen manchmal sinnlos. Aber sie haben angefangen sich wie ein Puzzle zusammen zu fügen.“ Er runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen nach oben. „Deshalb bin ich noch mal hergekommen. Ich mach' mir wirklich Sorgen um dich. Als du mir das erste Mal erzählt hast dass du Träume hast, habe ich gedacht dass du irgendein Zeug rauchst das dir den Verstand vernebelt. Aber ich denke langsam dass du dir einen anderen Beruf suchen solltest. Vielleicht dampft der alte Trödel irgendwas aus das dir den Schädel verdreht.“ Seine recht direkte Art Dinge auszudrücken war für Außenstehende ungewohnt und konnte beleidigen, aber ich war es gewohnt und konnte gegebenenfalls mit gleicher Münze zurück zahlen. Aber mir war nicht nach streiten zu Mute. Jedoch die Bezeichnung „Trödel“ hatte ich heute schon zweimal gehört. Und das war einmal zu viel. Bevor ich jedoch etwas entgegnen konnte signalisierte das Blubbern der Kaffeemaschine dass der Leben spendende Trank fertig war. Also holte ich tief Luft und schluckte meine Bemerkung herunter. Ich fischte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank und füllte sie mit dem herrlich duftenden Gebräu. Eigentlich war ich nicht genießbar bevor ich nicht wenigstens eine Tasse getrunken hatte. Wenn es keinen Kaffee geben würde, hätte ich ihn gewiss erfunden. Eine heiße Dusche gehörte ebenso zu meinem morgendlichem Ritual um den Motor auf Trab zu bringen. Mein Haus- Arzt hatte mir was von einem zu niedrigen Blutdruck erzählt, aber damit könnte ich hundert Jahre alt werden. Im Volksmund hieß so etwas Morgenmuffel. Aber damit konnte ich leben. Dafür war ich noch wach, wenn andere schon lange müde waren.

Auf jeden Fall war mein morgendliches Aufwachritual empfindlich gestört worden, aber in Anbetracht meines Urlaubes war ich bereit ihm zu vergeben. Ich blies in meine Kaffeetasse um ihn auf trinkbare Temperatur zu bringen und reichte Jo seine Tasse. „Wie trinkst du deinen Kaffee?“ Der griente übers ganze Gesicht. „Ohne Ketchup!“ Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, dachte ich mir. Aber der erste Schluck Kaffee stimmte mich versöhnlich. „Okay, okay. Für dich würde ich sogar Blausäure besorgen wenn ich die Garantie hätte, dass Ruhe wäre vor dir!“ „Wer soll denn sonst auf dich aufpassen? Deine Traumfrau muss ja wohl noch gebacken werden. Vor allem wenn sie eine Königin als Konkurrentin hat. Aber mal im Ernst,“ seine Miene hatte etwas an Heiterkeit verloren. „Es wird mal Zeit für dich, dir was weibliches zu suchen. Was real existierendes, meine ich. Du bist gerade gewachsen, ein Kerl im besten Alter. Du hast deine Firma die eine Familie ernähren kann. Mir fallen auf Anhieb mindestens fünf Mädels ein, die glücklich wären, wenn du sie mal zum Essen einladen würdest.“ „Sind die so ausgehungert?“ „Stell' dich doch nicht blöder an als du bist. Aber wenn du es so nennen willst, könnte ich die Frage mit ja beantworten. Oder weißt du nicht mehr wie es geht?“ Ich wusste ja, dass er nicht ganz Unrecht hatte, was mich um so mehr ärgerte. Aber meine letzte Beziehung war eine mittlere Naturkatastrophe gewesen und ich hatte noch keine Lust auf neue Experimente. „Mein Gott, Felix. Denk' doch nur mal an das letzte Lindenfest. Die kleine Blonde in der Sektbar hat dich den ganzen Abend angestrahlt. Brauchst du 'ne schriftliche Einladung?“ Ich wusste schon, worauf er hinaus wollte. „Das war eine gute Kundin von mir, die brauchte eine Expertise eines Erbstückes.“ verteidigte ich mich. „Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Um die zwei Erbstücke zu analysieren die sie an dem Abend dabei hatte wäre die Nacht zu kurz gewesen. Aber ich sehe schon, Frauen haben bei dir nur 'ne Chance wenn sie mindestens tausend Jahre alt sind.“ Er hatte ja recht. Ich konnte ihm schlecht was vorlügen. „Deshalb fahr' ich auch nach Griechenland in Urlaub. Ich will mal raus aus der Mühle und was anderes sehen. Ich verspreche dir auch dass ich mich mit Frauen unterhalten werde die jünger als tausend Jahre sind. Aber ich muss erst mal selber mit mir klar kommen. Und vor allem will ich darüber nachdenken was diese Träume bedeuten.“ Johannes ließ noch nicht locker, obwohl er schon etwas beruhigter schien: „Felix, das war bestimmt 'ne gute Entscheidung. Vielleicht findest du wieder in die Realität zurück, wenn du was anderes siehst als Trö..., sorry, Antiquitäten. Der olle Kram hat dir nicht nur das Hirn lahmgelegt, sondern auch deine Hose. Irgendwas muss dieser Staub beinhalten, was nicht gesund ist für dich.“ Beschwichtigend hob er die Hände gegen mögliche Einwände von meiner Seite und beruhigte mich mit einer neuen Tasse Kaffee. „Aber glaube mir, wenn das nicht aufhört mit deiner Träumerei, dann musst du was unternehmen. Ich kenne da einen guten Therapeuten in Kiedrich...“ Ich unterbrach ihn „du meinst einen Seelenklempner? Nein, danke! Das habe ich alles schon hinter mir.“ „Also nix gegen Klempner, gell? Aber fahr mal in Urlaub, das wirkt Wunder. Ich wollte dir nur sagen, das ich dir alles Gute für deine Reise wünsche. Wo fliegst du noch mal hin?“ „Nach Ios über Santorin. Ich war vor ein paar Jahren im Hafen dort während eines Segeltrips durch die Kykladen. Ist herrlich ruhig dort. Das letzte was ich brauchen würde ist ein Urlaub am Ballermann. Aber das habe ich dir schon hundert mal erzählt.“ „Ach ja, gestern Abend noch. Jetzt fällt es mir ein. War wohl ein Riesling zu viel. So, und jetzt muss ich los!“ Er stand auf und kontrollierte noch einmal seine leere Tasse. „Melde dich mal zwischendurch wie's dir geht, okay?“ „Ja, klar.“ Ich begleitete ihn noch bis ins Erdgeschoss an die Ladentür. Dort gab er sich die Klinke mit meiner Mitarbeiterin Monique in die Hand, die uns mit strahlendem Lächeln begrüßte. „Bon Soir, Herr Menzl. Sie sind schon wach? Ich habe gedacht sie haben doch Urlaub!“ „Ausnahmsweise, ja. Reisevorbereitungen.“ schummelte ich und blickte auf Johannes. Dieser konnte nicht umhin, vielsagende Blicke zwischen Monique und mir zu wechseln. Hinter ihrem Rücken formte er mit seinen Händen ihre Figur nach. Mein warnender Blick hielt ihn aber von weiteren Bemerkungen ab. „Übrigens, Jo,“ ich konnte mich nicht beherrschen, ihm noch eine Denksport-Aufgabe mit auf den Weg zu geben. „Um auf den Beginn unseres Gespräches zurück zu kommen, Ramses und Kleopatra sind sich nie begegnet. Da liegen etwa 1200 Jahre dazwischen!“ „Schade eigentlich, aber das passt ja ...“ bemerkte er noch, dann drehte er sich um und entschwand über den Marktplatz in Richtung Rathaus. Mit diesem trockenen Schlusssatz hatte er den Ball wieder zu mir zurück gespielt.


Ich stand im Eingang meines Ladens und sah hinüber zur Geisenheimer Kirche, die wegen ihrer Größe und Schönheit auch Rheingauer Dom genannt wurde. Der spätgotische Bau mit seiner Doppelturmfassade prägte weithin die Silhouette der Stadt und strahlte eine Würde aus, die nach meiner Meinung von keinem anderen Gebäude im Umkreis übertroffen wurde. Am Fuß des Domes hatte ich meine Kindheit verbracht und wenn ich nach langen Reisen nach Hause kam, war es mir wohl ums Herz wenn ich schon von weitem seine Türme sah. Hier war ich aufgewachsen. Und auch wenn dieser kleine Ort sein Gesicht in den letzten Jahren verändert hatte, hier war meine Heimat, meine Wurzeln. Obwohl ich schon einiges von der Welt und viele schöne Flecken gesehen hatte, im Schatten des Domes hatte ich mich immer zu Hause gefühlt. Bereits mein Großvater hatte vor mehr als 70 Jahren den Handel mit alten Möbeln und Antiquitäten begonnen. Mein Vater hatte es von ihm übernommen. Er hatte sich auf alte Schriften und Bilder spezialisiert. Er hatte ein glückliches Händchen bewiesen und mit 50 Jahren ein kleines Vermögen geschaffen, das es ihm und meiner Mutter ermöglichte nach Kanada zu übersiedeln und sich an der Westküste seines Lebens zu freuen. Am meisten tat er das, wenn er einen großen Lachs gefangen hatte.

So war auch ich in den Antiquitätenmarkt eingestiegen und es war mir gelungen den Handel über das Internet weltweit auszudehnen. Mit Hilfe von Handy, Laptop und einer Internet-Verbindung war ich in der Lage, Gegenstände zu vermitteln und zu handeln ohne dass sie je in meinem Laden standen. Diese Art von elektronischem Antiquitätenmarkt war mittlerweile zu dem größeren Teil meines Einkommens angewachsen. Meine Mitarbeiterin Monique war mehr mit Korrespondenz im Netz beschäftigt als im Laden selbst. Sie war ein wahres Organisationstalent. Während sie die morgendliche E-mail abholte hatte sie schon Kaffee gekocht und mir eine Tasse hingestellt. Eigentlich war mein Pensum an Kaffee voll für heute, aber ihrem fürsorglichem Blick konnte ich nicht widerstehen. „Sie sehen etwas müde aus, haben sie nicht gut geschlafen?“ „Doch, aber nur etwas zu kurz. Ich bin erst um 3 Uhr zum Schlafen gekommen.“ Sie erschrak plötzlich und kam auf mich zu. „Isch 'abe ganz ihre Geburtstag vergessen!“ Ehe ich mir es versah, hatte sie mir einen angedeuteten Kuss auf die Wange gehaucht der mich etwas erröten ließ. Ich war froh dass Johannes schon weg war, eine dumme Bemerkung wäre mir sicher gewesen. Schon saß sie wieder am Computer und sortierte die Korrespondenz.

Monique hatte gemeinsam mit mir eine Homepage entwickelt mit der wir weltweit werben konnten. Vor einiger Zeit war sie sogar mit einer kleinen Summe als Beteiligung an meiner Firma eingestiegen. Meine Freunde hatten alle Hoffnung, dass sie auch privat mit mir ein Team bilden würde, aber sie war seit längerem verlobt. Außerdem war ich glücklich über eine so hervorragende Mitarbeiterin und war auch gut damit gefahren, Geschäft und Privates zu trennen, zum Kummer von Johannes.

Ich beschloss, die Überdosis Kaffee mit einem Spaziergang durch Geisenheim zu verarbeiten. Insgeheim musste ich schmunzeln. Mein Freundeskreis machte sich mehr Gedanken um mein Liebesleben als ich selbst. Dabei war ich erst ein halbes Jahr wieder Single. Nein, meine wahren Sorgen waren diese Träume, die so intensiv waren dass ich sie als Erinnerung empfand. Sie schienen sich mehr und mehr in mein Leben zu drängen und mir kam es vor, als wollten sie mich in eine bestimmte Richtung dirigieren. Ich schüttelte unbewusst meinen Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen und ging die Fußgängerzone aufwärts Richtung Rathaus. Sinnierend blieb ich vor dem alten Lindenbaum stehen, dem der Platz vor dem Rathaus seinen Namen verdankte. Er war gewiss über siebenhundert Jahre alt, aber so genau wusste das keiner. Anbetracht seines hohen Alters hätte er wohl lächeln können über die Sorgen von denen man sich den Tag vermiesen ließ. Können Bäume lächeln? Ich glaube, dieser ja. Ich liebte diesen Baum für diese unerschütterliche Lebenskraft, die er ausstrahlte. Die Linde hatte für mich ein Gesicht, dass lächeln kann. Auch heute war sie wieder ein Treffpunkt für jung und alt, der neueste Klatsch und Tratsch unter ihrem grünem Dach trieb ebensolche Blüten wie die Linde selbst.

So schlenderte ich weiter aufwärts über die Bahnschienen und stieg auf zum Gipfel des Rothenberges, ein kleiner Hügel, um den die Stadt im Laufe der Jahre herum gewachsen war. Das Kreuz am höchsten Punkt erinnerte daran, dass einst eine Mühle dort stand. Ich stellte mich vor die Bank die hier zur Rast einlud. Man hatte einen Blick auf den gesamten Rheingau, von der Landeshauptstadt Wiesbaden und Mainz gegenüber rheinabwärts bis zum Binger Loch und Rüdesheim. Hoch über den Hügeln grüßte das Niederwald- Denkmal mit seiner Germania- Statue. Als dünne Linie war die Seilbahn zu sehen, die die Touristen nach oben brachte. Weiter rechts in den Weinbergen lag die Abtei der heiligen Hildegardis und wenn man sich ganz nach rechts umdrehte schweifte der Blick über die Wälder des Rheingaus bis zum Schloss Johannisberg, dem Sitz der Fürsten von Metternich.

Hier oben war die drückende Schwüle des Spätsommers einem angenehmen Lüftchen gewichen das über die Weinberge strich. Silbern glitzerte der Strom des Rheins in der Sonne und nur ein paar Schönwetterwolken waren am Himmel zu sehen. Weiß strahlende Schiffe der Köln- Düsseldorfer Flotte zogen am Geisenheimer Dom vorbei der sie majestätisch grüßte. Bis hierher trug der Wind das gleichmäßige Brummen der Schiffsmotoren. Dieser Sommer war nicht gerade von Schönwetterperioden verwöhnt, aber an Tagen wie diesem fragte man sich schon warum man den Rheingau überhaupt verlassen sollte. Ich genoss die hervorragende Aussicht und machte mich auf der Rastbank breit. Die Bewegung und die Luft taten mir gut. Wenn diese Träume nicht wären, hätte mein Leben kaum besser sein können. Ich musste unwillkürlich daran denken, wie alles begann:

Es war ziemlich genau vor zwei Jahren, also kurz nach meinem dreiunddreißigstem Geburtstag, als ein Freund meinen Laden betrat. Peter war Kommissar beim Landeskriminalamt Wiesbaden. „Das Verbrechen schläft nicht!“ war seine leidvolle Erfahrung, denn er hatte dadurch zu Zeiten Dienst wenn andere schon oder noch schliefen. Wir bekamen uns nicht so oft zu Gesicht, auch am meinem Geburtstag spielte er mal wieder Räuber und Gendarm. So war ich recht erfreut als er mein Geschäft beehrte. „Ja, Hallo! Du lebst noch?“ „Grüß' dich, Felix. Hast du mit meiner Frau gesprochen? Die hat mich heute das gleiche gefragt.“ „Wann du es geschafft haben solltest, zwei Kinder in die Welt zu setzen, ist mir auch ein Rätsel. Aber schön, dass du hier bist. Wie komme ich zu der Ehre? Brauchst du ein Präsent für euren Jahrestag?“ Ein heiliger Schrecken fuhr in seine Glieder. „Au, ach weh, den hätte ich glatt verpasst, hast du was für mich?“ „Wie wäre es mit dieser Biedermeier- Kommode hier?“ Ich deutete auf ein Möbelstück. „Ich hab nix ausgefressen, also darf es schon was preiswertes sein. Ich bin Familienvater und kein Lottomillionär.“ Nach kurzer Suche fand er etwas passendes, es war eine kleine Schmuckdose mit einer Spieluhr im Deckel. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...“ erklang beim Öffnen der Dose. „Deine Frau wird stolz auf dich sein.“ lobte ich ihn. „Aber noch mal von vorne, was wolltest du denn eigentlich von mir?“

Er zog einen faustgroßen Gegenstand aus seiner Jackentasche, der in ein Stofftuch gehüllt war.“ Wir haben letzte Nacht einen kleinen Dealer hochgenommen. Er hatte das hier dabei.“ Er legte es auf die Theke und begann es auszuwickeln. Es war ein faustgroßer Skarabäus aus einem grünlich schimmerndem Stein. „Der kleine Ganove behauptet, das wäre ein fabrikneues Souvenir aus Ägypten. Aber der sieht reichlich alt aus. Mich würde interessieren, was du meinst. Wenn seine Behauptung stimmt, würde ich mich recht blamiert fühlen.“ Ich hatte nie mit ägyptischen Antiquitäten gehandelt. Teilweise war es strafbar und das meiste war eh im Besitz von Museen. Aber dieser Skarabäus war interessant. Ich hatte von meinen Vater ein paar Hieroglyphen zu entziffern gelernt. Ich nahm den Skarabäus mit dem Tuch in die Hand und betrachtete ihn von oben und den Seiten. „Solche Skarabäen waren Glücksbringer und oft auch Propaganda in Stein. Die Pharaonen haben oft Hunderte von Skarabäen fertigen lassen, immer mit gleichem Text, um ihre Taten im Land bekannt zu machen.“ „So 'ne Art Bild-Zeitung vielleicht?“ versuchte er zu verstehen. „Ja, so ähnlich, aber mit gewichtigerem Inhalt. Betrachten wir uns mal die Unterseite.“

Der Skarabäus ruhte die ganze Zeit auf dem Tuch in meiner Hand. Jetzt wollte ich ihn mit der anderen Hand umdrehen und berührte ihn direkt. Wie ein Blitz durchfuhr es mich schlagartig und meine Hand krampfte sich um den Skarabäus. Ich sah plötzlich Bilder vor mir, die binnen Sekunden auf mich einstürzten. Als wenn jemand ein Fenster öffnet und sofort wieder schließt; Bevor man verstand, was man gesehen hatte, war es wieder verschwunden. Aber es waren Tausende Bilder, ich hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen. Ich hörte Stimmen, die wie von weit her zu mir sprachen, ohne dass ich sie verstand. Ich taumelte und griff mir ans Herz, das wild zu rasen begann. Ich fand Halt an der Theke, gleichzeitig war Peter zur Stelle um mich aufzufangen.

So schnell wie es kam, war es wieder vorbei. „Was ist mit dir? Soll ich einen Arzt holen?“ Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Nein, nichts,“ log ich „nur ein paar Kreislauf-Probleme, ich kann in dieser Hitze nicht richtig schlafen nachts. Außerdem müsste ich mehr trinken.“ Ich hatte mich etwas gesammelt um ihm wieder zu antworten. „Junge, Junge, Felix, ich hab schon gedacht, mein Erster Hilfe-Schein kommt zum Einsatz. Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“ „Thutmosis, der Dritte.“ stammelte ich. „Was?“ „Thutmosis, der Dritte! Der Skarabäus ist echt!“ Peter blickte mich entgeistert an. „Du hast ja kaum darauf geschaut!“ Erst jetzt fiel mir auf, das ich den Stein noch in der Hand hielt; sie zitterte etwas. Ich zeigte ihm ein Zeichen, das von einem ovalen Ring umgeben war. „Das ist eine Kartusche. Darin ist der Name des Pharao eingraviert.“ Innerhalb der Kartusche war das Zeichen einer Scheibe mit einem Punkt in der Mitte, ein Käfer und eine Art Nagelbrett zu sehen. „Der Skarabäus ist etwa 1450 v. Christus hergestellt.“ „Felix, du bist ein Phänomen. Erst fällst du mir halb tot in den Arm, dann bestimmst du mit einem Blick das Alter von diesem Stein. Aber ich danke dir. Jetzt müssen unsere Profis ran.“ Er nahm mir den Skarabäus aus der Hand und wickelte ihn wieder in das Tuch ein. „Aber trink mal 'nen Eimer Wasser. Du siehst immer noch etwas blass aus.“ Er legte mir zum Abschied den Arm um die Schulter und verließ mich.

Ich ging erstmal hinter dem Haus in den Garten um frische Luft zu schnappen. Jetzt erst bemerkte ich, dass meine rechte Hand schmerzte. Ein paar der Hieroglyphen waren noch als Abdruck zu sehen. Sie hoben sich weiß ab gegen die restliche Handinnenfläche, die rot war und wie Feuer brannte. Wie eine lang vergessene Erinnerung hörte ich eine Stimme, die wie von weit her zu kommen schien, aber unbewusst sprach ich die Worte nach, die sich in meinem Kopf breit machten: „Hört die Worte des Thutmosis: groß ist Amun- Re, er hat mich zu seinem Pharao gemacht. Die Ketzer sind besiegt!“ Ich hatte die Hieroglyphen kaum gesehen, geschweige denn entziffert. Woher kannte ich den Text? Ich wusste es nicht und war froh, dass mir niemand in diesem Moment diese Frage stellte. Ich spürte immer noch ein Stechen in der Brust. Da ich alleine war, öffnete ich mein Hemd, um Luft zu bekommen. Als ich an mir herab sah, fiel mein Blick auf mein Muttermal auf der linken Brust.

Seit meiner Geburt war es dort vorhanden, aber relativ blass und unscheinbar. Es hatte mir nie Probleme bereitet, aber jetzt brannte es wie meine Hand und war feuerrot. Es war vielleicht so groß wie ein Markstück. Wie die Beine eines Käfers liefen einige Adern aus seinem fast kreisrundem Zentrum. Erst in dieser Situation wurde mir die Ähnlichkeit mit dem Skarabäus bewusst und mir war es himmelangst. Nur langsam konnte ich mich beruhigen. Das Brennen wurde schwächer und die Rötung ließ nach, aber wie eingebrannt waren mir die Worte im Gedächtnis. „Die Ketzer sind besiegt.“

Allmählich verblasste das Bild vor meinem inneren Auge und ich saß immer noch auf dem Rothenberg. Mit einem Seufzer erhob ich mich von der Bank und machte mich auf den Heimweg. Es war fast Mittag geworden, als ich am Marktplatz ankam.

Die Schlacht in Mitanni

Jahre waren ins Land gegangen. Senenmut war zu einem Jüngling herangewachsen und in die Armee eingetreten. Er war mit seinem Pharao Thutmosis bis über den Grenzstein gegangen der das Reich der Mitanni markierte. Sie hatten den Fluss Euphrat überquert. Viele Feinde hatten Sie niedergestreckt und reiche Beute gemacht. Damit man die Zahl der getöteten Feinde besser überblicken konnte war es Brauch geworden, ihnen eine Hand abzuhacken.

Auch Senenmut hatte Hände zu zählen, was Ausdruck der Tapferkeit eines Soldaten war. Aber die rechte Freude darüber wollte bei ihm nicht aufkommen. Ihm war dieser Ritus zuwider, aber er hütete sich, darüber mit den älteren Soldaten zu sprechen denen es vollkommen normal geworden war. Abends saßen sie alle am Feuer und brüsteten sich mit ihren Taten. „Heute war ein Fest für uns!“ jubelte Imen- Re, ein erfahrener Soldat, der schon viele Jahre als Söldner in der Armee gedient hatte. „Sachmet, die löwenköpfige, war an unserer Seite. Horus ist mein Zeuge, ich habe mit dem Blut unserer Feinde die Erde rein gewaschen.“ brüstete er sich.

Senenmut hatte schon ein paar Schlachten erlebt und es fiel ihm schwer all das Leid zu erleben den ein Krieg mit sich bringt. Er freute sich zwar, dass der Pharao die Grenzen Ägyptens erweiterte und festigte. Aber er hatte heute an der Seite von Imen- Re erlebt, was der Krieg aus einem Menschen machen konnte. Die ganze Zeit schon hatte er sich abseits gehalten und dachte mit Schaudern an das Erlebte. Die Mitanni waren geschlagen. Ihre Formation hatte sich aufgelöst und sie flüchteten planlos vor den Kampfwagen des Pharao die sie verfolgten. Imen- Re war Wagenlenker, Senenmut war ihm als Bogenschütze zugeteilt. Er hatte den Bogen aber längst niedergelegt und seine Pfeile im Köcher gelassen, denn Imen- Re trieb die Pferde so schnell vor sich her dass ein Zielen unmöglich geworden war. Statt dessen hatten sie ein kurzes Schwert gezogen. Imen- Re steuerte den Streitwagen dorthin, wo die flüchtenden Mitanni am dichtesten liefen. Er schrie vor Freude auf wenn die schweren Räder des Wagens zwei oder drei Feinde niedermähten. Senenmut musste sich festhalten, um nicht selbst in das Geschirr zu stürzen. Imen- Re schien es nichts auszumachen, einhändig das Gespann in wilder Fahrt mit den Zügeln zu jagen und gleichzeitig einem Mitanni den Schädel zu spalten der dem Streitwagen seitlich zu entkommen suchte. „Imen- Re, halt ein!“ schrie Senenmut gegen den Lärm der galoppierenden Hufe an „Die Herolde haben lange schon zum Rückzug geblasen!“ Wie ein Wahnsinniger trieb Imen- Re den Streitwagen in die Front der Feinde. Senenmut blickte kurz zurück und sah, dass die anderen Streitwagen des Pharao weit entfernt abgedreht hatten und die flüchtenden Feinde schonten.

Im gleichen Moment als er sich zurückdrehte sprang der Wagen mit einem Rad über den Körper eines unglücklichen Mitanni und geriet ins Schlingern. Senenmut verlor das Gleichgewicht, seine Hände verloren den Halt und er stürzte nach hinten aus dem offenen Teil des Wagens. Er schlug auf den Boden auf der in der Sonne hart getrocknet war. In seinem Blutrausch fuhr Imen- Re einfach weiter. Senenmut hatte das Gefühl als wären alle Knochen in seinem Leib gebrochen, er hatte jedoch keine Zeit darüber nachzudenken. Er war mitten in der Front der Mitanni- Krieger gelandet. Zwei Soldaten hatten ihn entdeckt und kamen ihm bedrohlich nahe. Er lag noch auf dem Rücken, als der erste mit erhobener Streitaxt und wildem Geschrei auf ihn eindrang. Die Angst verlieh Senenmut übermenschliche Kräfte. Er warf sich zur Seite und riss sein Schwert nach oben. Die Axt drang Funken sprühend in den steinigen Untergrund neben seinem Kopf ein. Das Schwert hingegen hatte sein Ziel nicht verfehlt und stieß tief in den Bauch des Angreifers. Kraftlos stürzte der getroffene Körper über ihn und bedeckte Senenmut mit einem blutigen Schwall aus seinem Mund. Durch die Wucht des Sturzes war das Schwert bis ans Heft eingedrungen. Senenmut schob den zuckenden Leib über sich zur Seite um sich zu befreien und versuchte das Schwert zu lösen, aber der Mitanni schrie aus Leibeskräften auf und klammerte seine Hände um den Griff des Schwertes. Sein Schrei wurde von seinem Blut erstickt, das mit dem Mageninhalt zusammen aus seinem Mund strömte. Voll Entsetzen starrte Senenmut auf die grausige Szene als der zweite Mitanni ihn erreicht hatte. Dieser war mit einem Speer bewaffnet und zielte auf ihn. Panisch ergriff Senenmut die Streitaxt des ersten Angreifers und warf sie mit Wucht gegen den Feind. Mit einer Rolle zur Seite suchte er dem tödlichen Speerwurf zu entrinnen. Er hörte das Sirren in der Luft und spürte wie der Speer in seinen Oberschenkel eindrang. Im ersten Schock verspürte er keinen Schmerz; er drehte sich vielmehr nach dem Speerwerfer um, als er aus dessen Richtung ein knirschendes Geräusch hörte. Die Axt war auf der rechten Seite in Höhe des Schlüsselbeines in den Brustkorb des Mitanni eingedrungen. Wie in Zeitlupe sackte dieser zusammen.

Erst jetzt verspürte Senenmut den ohnmächtigen Schmerz in seinem Bein, er sank stöhnend zu Boden. Der Speer steckte immer noch in seinem Oberschenkel und macht ihn jetzt bewegungsunfähig. Das Blut in seinem Schädel dröhnte, der Boden schien unter ihm zu erbeben. Plötzlich war über ihm ein weiterer Mitanni, der mit der Axt zum Todesschlag ausholte. Das Beben übertönte alle Geräusche, als schlagartig ein großer Schatten die Sonne verdunkelte. Senenmut erwartete den tödlichen Schlag, als ein scharfes Zischen die Luft zerschnitt. Gleichzeitig schlug es dem Mitanni den oberen Teil seines Helmes samt seiner Schädeldecke weg. Mit ungläubigem Blick fiel dieser leblos zu Boden. Als Senenmut den offenen Schädel neben sich sah, aus dem pulsierend Blut drang, umfing ihn gnädig tiefe Ohnmacht.

Imen- Re war aus seinem Wahn erwacht und war umgekehrt, um dem jungen Soldaten beizustehen. Er kam gerade noch rechtzeitig um den letzten Angreifer auszuschalten. Er hielt an und sah den Speer in Senenmuts Oberschenkel stecken. Er stellte seinen Fuß auf dessen Bein und riss den Speer aus der Wunde. Der tiefe Schmerz ließ Senenmut erwachen. Stöhnend und unfähig klar zu denken beobachtete er wie Imen- Re sein Bein verband um das Blut zu stoppen. „Du kannst den Göttern danken dass ich bei dir war. Amun war mit dir, du Narr!“ schimpfte er los. „Wenn ich nicht gekommen wäre, hätten die Mitanni dich in Scheiben gehackt und den Geiern zum Fraß vorgeworfen!“ Senenmut war wütend, aber der Schmerz lähmte seine Zunge. Mehr als ein Stöhnen brachte er nicht heraus. Imen- Re packte ihn an seiner Rüstung und zog ihn unsanft nach oben. Dann schleifte er ihn ohne Rücksicht zu seinem Streitwagen und warf ihn unsanft auf die offene Standfläche. „Bleib hier sitzen, ich habe noch etwas zu tun!“ forderte er ihn auf.

Was dann geschah konnte Senenmut nicht fassen. Imen- Re stapfte durch den Sand auf den Mitanni zu den Senenmut mit der Axt getroffen hatte. Die Axt steckte immer noch in der Brust des Soldaten der sterbend auf dem Rücken lag. Imen- Re stellte wie zuvor bei Senenmuts Oberschenkel einen Fuß auf die Brust des Mitanni und riss die Axt aus dessen Lunge,worauf die Luft sofort pfeifend aus dem Spalt entwich. Blutroter Schaum drang aus der Wunde hinterher und aus dem Mund und erstickte die Schreie des Sterbenden in einem grausigen Blubbern. Gnadenlos hob Imen- Re die Axt und schlug ihm die rechte Hand ab. Er hob sie auf und steckte sie an seinen Gürtel. Dann ging er zu Senenmuts erstem Angreifer, der im Todeskampf seine Hände um das Schwert geklammert hatte. Er lebte ebenfalls noch, war aber schon zu schwach, um sich zu bewegen. Auch ihm schlug Imen- Re die Hand ab, nachdem er zuvor mit einem Tritt gegen den Arm dafür gesorgt hatte, dass dieser gestreckt dalag. Ohne Rührung ging er auf den Mitanni zu, den er selbst zuvor getötet hatte und vollendete sein unmenschliches Werk.

Ohne sich um die sterbenden Krieger zu kümmern, bestieg er seinen Streitwagen und lenkte ihn zurück ins Lager des Pharao. Senenmut wehrte sich indes nicht mehr gegen die aufsteigende Übelkeit in ihm aufgrund des Blutverlustes, und noch mehr wegen dem, was er mit ansehen musste. Er erbrach sich und erneut fiel er in Ohnmacht, als sie das Lager erreichten. Nur durch einen Nebel der Erinnerung konnte er die Jubelschreie der Soldaten hören die Imen- Re und seine Kriegsbeute begrüßten, dann wurde es dunkel um ihn.

Er erwachte ohne zu wissen wie lange er bewusstlos gewesen war. Als ihm die Erinnerung des Geschehenen wiederkam musste er sich erneut übergeben. Er lag in einem Zelt vor der Sonne geschützt. Er hatte einen frischen Verband erhalten ohne dass er etwas davon bemerkt hätte. Aber noch mehr als sein Bein schmerzten ihn die Bilder die ihm vor seinem geistigen Auge erschienen. Jubel drang von außen in sein Zelt. Senenmut erhob sich so gut es ging und näherte sich humpelnd dem Ausgang, wo er sich an einer Zeltstange abstützte. Er konnte Pharao Thutmosis sehen, der aus einem goldglänzendem Streitwagen Goldmünzen unter die siegreichen Soldaten warf. Senenmut glaubte zu träumen, aber neben Thutmosis stand Imen- Re! Er hatte eine frische polierte Rüstung an und blickte mit dem Pharao auf die Soldaten, die vor ihnen in Reih' und Glied standen. „Soldaten Ägyptens!“ sprach der Pharao. „Höret meine Worte! Wir haben heute einen glanzvollen Sieg über die Mitanni erlangt. Ihr König wird es nie mehr wagen, seinen Fuß auf ägyptischen Boden zu setzen. Zum Dank werde ich eine Stele errichten lassen, die ich Amun- Re widme. Auch unseren Göttern Mut und Chons wollen wir danken. Sie haben uns heute einen besonders tapferen Soldaten zur Seite gestellt! Er hat heute nicht nur unzählige Hände erbeutet, sondern auch das Leben eines jungen und unerfahrenen Soldaten gerettet, in dem er drei Feinde gleichzeitig erschlug!“

Senenmut konnte es nicht fassen. Imen- Re hatte ihn erst in diese Lage gebracht. weil er sämtliche Befehle missachtete und Menschen tötete die schon auf der Flucht waren und sich bereits ergeben hatten. Er hatte durch seine Mordlust ihre beiden Leben unnötig gefährdet. Und dann hatte er Senenmuts Ohnmacht genutzt um die Geschichte in einem für ihn günstigem Licht erscheinen zu lassen. Er hatte ihm wohl das Leben gerettet, aber aus Gier zwei Menschen bei lebendigem Leib abgeschlachtet! Es widerte ihn an und er beschloss, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit seine Vorgesetzten zu informieren. Aber Thutmosis hatte noch nicht geendet. „Als Lohn für seine Tapferkeit ernenne ich Imen- Re zum Befehlshaber der Bogenschützen und Wagenlenker!“ Senenmut schwankte der Boden unter den Füßen. Damit war ihm jede Möglichkeit genommen den wahren Sachverhalt zu klären. Vor Wut schossen Senenmut die Tränen in die Augen. Er wünschte sich jetzt nichts sehnlicher als zu Hause zu sein. Seine Eltern hatten ihn immer gelehrt dass das menschliche Leben das höchste Gut sei, aber in der Armee wurden die größten Schlächter zu Befehlshabern ernannt! Der Schmerz wütete in Senenmut und er legte sich zurück auf sein Lager.

Die Steinmetze hatten alle Hände voll zu tun den Befehl des Pharao sofort umzusetzen und den Sieg in Stein zu hauen. „Ich dehnte die Grenzen Ägyptens aus, so weit die Sonne reicht. Ich habe Ägypten zur Krone über alle Länder der Erde gemacht...“ verkündeten die Steine.

Am Abend floss der Wein in Strömen und die Soldaten feierten den Sieg, allen voran Imen- Re. Etwas mitleidig betrachteten sie Senenmut, der vermeintlich so unglücklich agiert hatte. Er hatte sich bewusst abseits gehalten. Nach feiern war ihm sowieso nicht zumute; sein Bein machte ihm ebenfalls zu schaffen. Nur kurz ließ er sich sehen, dann humpelte er wieder zu seinem Zelt zurück. Kurz vor dem Eingang wurde er an den Schultern gepackt und zu Boden geworfen. Im Fackelschein blitzte eine blutige Mitanni-Streitaxt. Es war Imen- Re! „Höre zu, du dummer Junge! Wenn du jemals auch nur ein Wort erzählst, werde ich dir mehr als deine Hand abschneiden, verstanden?“ Er zog die Schneide über Senenmuts Hals, wo sie eine dünne Blutspur hinterließ. „Das war meine erste und letzte Warnung. Morgen bei Beginn des Tages wirst du mit den Boten nach Theben zurückkehren. Wenn ich dich danach noch einmal sehe sorge ich persönlich dafür, dass du bei Osiris sein wirst!“ Dann war er verschwunden.

Santorin

Platz 19A!“ sagte die Dame am Checkin- Counter, wie das so schön auf neudeutsch hieß. „Vielen Dank!“ sagte ich artig. Sie hatte meinem Wunsch gemäß einen Fensterplatz reserviert. Nichtraucher, in der Nähe des Notausganges. Nicht, dass ich Angst vorm Fliegen hätte, im Gegenteil. Aber die Plätze dort boten am meisten Beinfreiheit und beste Sicht nach draußen. Ich begab mich voller Freude durch die Sicherheitszone. Gepäck röntgen, abtasten. Mein Notebook und Handy hatte ich auch dabei, obwohl ich erst gezögert hatte. Schließlich wollte ich Urlaub machen. Aber mein Gewerbe verlangte mitunter schnelle Entscheidungen. Und so konnte ich auf eventuell notwendige Daten zugreifen. Und Monique war die optimale Abwehrmauer gegen lästige Zeitgenossen. Ich hatte volles Vertrauen zu ihr was ihre Nachrichtensperre anbelangte. Sie würde nur lebensnotwendige Mails an mich weiterleiten, ansonsten hätte ich ja auch zu Hause bleiben können. Aber so würde das Notebook mehr meiner Beruhigung dienen. Ich gedachte es nicht wirklich zu gebrauchen. Der Kontrolleur schien sich auch seine Gedanken zu machen, was in aller Welt ein Mann mit Jeans und T-Shirt mit so einem elektrischem Hundehalsband im Urlaubsgepäck will. Also verlangte er den üblichen Funktionstest. Einschalten, Programm starten und wieder runterfahren. „Alles Okay, guten Flug.“ wünschte er mir und schon saß ich im Flieger. Ein Airbus A321, die Maschine war Vertrauen erweckend neu. Wie schon gesagt, Angst vorm Fliegen kannte ich nicht, ich hatte sogar ein paar Jahre Gleitschirmfliegen betrieben. Aus Zeitgründen hatte ich es schweren Herzens aufgegeben. So war mir die Höhe vertraut, der Flug war für mich das halbe Urlaubserlebnis. Die Crew wies nur noch pantomimisch auf Sicherheitshinweise hin, eingebaute LCD- Bildschirme führten alles vor, was wichtig war. Ich kannte schon alles auswendig. Meine Sitznachbarin, eine Dame mittleren Alters, war eher beunruhigt. „Ich fliege zum ersten Mal heute,“ versicherte sie mir. „Wenn meine Söhne mir den Flug nicht geschenkt hätten, wäre ich niemals in den Flieger rein. Mit der Schwimmweste käme ich nie zurecht. Und überhaupt, mit den Handys und so. Wenn die einer einschaltet, passiert wer weiß was. Ham Sie auch so was?“ „Nein,Nein!“ beruhigte ich sie und musste schmunzeln. Wie gut, dass sie das Lap nicht gesehen hatte, sie wäre wohl wieder ausgestiegen. Ich beschloss, sie ein wenig zu beruhigen, das würde auf dem Flug auch mir zu gute kommen. „Schauen sie mal nach draussen,“ sagte ich, während die Maschine zur Startbahn rollte und deutete auf die Ruder in den Tragflächen. „Sehen sie, wie die sich bewegen?“ „Die werden doch nicht kaputt sein?“ „Nein, mit den Start- und Landeklappen vergrößert der Pilot die Tragfläche. Damit steigt die Maschine besser.“ Sie schien etwas beruhigter, als die Maschine die Startbahn erreichte und sofort Geschwindigkeit aufnahm. Unwillkürlich fasste sie dann doch nach meinem Arm und grub ihre Finger ein als die Maschine abhob und in den Himmel stieg. Ab jetzt begann mein Urlaub! Mit einer Linkskurve schwenkten wir auf Kurs Richtung Süden. Aus dem Fenster konnte ich den Flughafen und die Frankfurter Skyline sehen. Sie verschwanden schnell aus unserem Blickfeld. „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein ...“ summte ich vor mich hin. Schon bald konnten wir die Alpen sehen. „Meine Damen und Herren, herzlich willkommen auf unserem Flug nach Santorin,“ meldete sich der Kapitän aus dem Cockpit. „Wir haben jetzt unsere Reiseflughöhe von 10700 Metern erreicht. Unsere momentane Geschwindigkeit beträgt derzeit etwa 800 km/h. Wir werden auf unserem Flug über Venedig an der italienischen Küste entlang fliegen. Nach Brindisi werden wir einen Schwenk nach links über das Ionische Meer nach Preveza machen. Dann werden wir über Athen zu den Ägäischen Inseln fliegen und in Santorin landen.“ Momentan ruckelte es etwas und meine Nachbarin lächelte etwas verkrampft zu mir herüber. „Wie sie sicher merken ist es momentan etwas unruhig,“ fuhr der Kapitän fort. „Aber wir haben etwas Rückenwind bekommen und werden ca. 20 Minuten früher landen können. Wenn wir die Alpen hinter uns haben, wird es etwas ruhiger werden. Also noch einen guten Flug und schönen Urlaub in Griechenland.“ Das war sehr gut für mich, so kam ich wohl früh genug in den Hafen, um die Fähre nach Ios zu bekommen. Im Duty- Free an Bord suchte ich mir eine neue Uhr aus, die ich mir gleich ans Handgelenk band. Das war für mich schon ein Ritus geworden. Im Gegensatz zu irgend welchen Staubfängern aus dem Touristen - Bazar hatte ich mir als Symbol und Erinnerung an die „schöne Zeit“ angewöhnt, eine Uhr zu kaufen. So konnte ich meine Urlaubs- Erinnerungen am Arm tragen. Die Stewardess servierte uns anschließend eine kleine Mahlzeit aus der Bordküche, die sehr wohlschmeckend war. Putenschnitzel mit Gemüse, Schokopudding mit Vanillesoße. Relativ schnell hatte ich meine Ration verputzt, während meine Nachbarin mit der Verpackungsfolie kämpfte. Ich half ihr, das Besteck zu befreien.

Die Verpflegung an Bord konnte sich wirklich sehen lassen, aber insgeheim freute ich mich sehr auf die griechische Küche mit ihren mediterranen Spezialitäten. Der Gedanke an ein Glas Retsina mit Lammbraten ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Das tatsächlich genossene Essen und der servierte Rotwein ließen meine Lider schwer werden. Der Flug war tatsächlich ruhiger geworden. Etwas Zeit war noch bis zur Landung, und so ließ ich mich vom Summen der Triebwerke einlullen. Langsam glitt ich ab ins Reich der Träume...

Die Heimkehr

Kurz nach Sonnenaufgang erhielt Senenmut den offiziellen Befehl von Imen- Re, als Bote nach Theben zurückzukehren und die Siege des Pharao zu verkünden. Thutmosis selbst unterbrach seine Heimreise um sich in den Sümpfen des Euphrat beim Jagen zu entspannen. Das gab den Thebanern wiederum Zeit, alles für die Heimkehr und den triumphalen Empfang des Pharao vorzubereiten. Als Geschenk für den Amun- Tempel führten sie einige gefangene Mitanni mit sich, die fortan als Sklaven dem Heiligtum dienen sollten. Dafür blieben sie verschont und behielten ihre Hände.

Als sie nach langer Reise das Nildelta erreichten war Senenmut glücklich den Nil zu sehen. Zum einen wollte er das Land der Mitanni und das Erlebte so schnell wie möglich hinter sich lassen. Und außerdem würden sie den Rest der Reise nach Theben auf einer bequemen Nilbarke zurücklegen, was ihm Gelegenheit gab sein verletztes Bein zu schonen. Die tiefe Wunde war am verheilen, aber es würde noch einige Zeit dauern bis er schmerzfrei war. Er überlegte was schmerzhafter war: die Verwundung selbst oder die Behandlung durch den Arzt. Der hatte, um die Wunde zu schließen, mit einer Hand eine Wächtertermite auf den klaffenden Wundrand gehalten, während er mit der anderen Hand die Wunde zudrückte. Mit ihren kräftigen Kiefern verbiss sie sich in die Haut und im gleichen Moment trennte der Arzt den Kopf der Termite durch eine schnelle Drehung mit der Hand von ihrem Körper. Das wiederholte er mit weiteren Termiten so lange, bis der komplette Wundrand durch die Kiefernzangen bedeckt war. Durch die rasche Trennung des Kopfes vom Körper wurden die Nervenbahnen unterbrochen und darum blieben die Zangen geschlossen und pressten so die Wunde wie Klammern zusammen. Jedoch keine Behandlung ohne Nebenwirkungen. Die abgetrennten Körper spritzten ihre Säure über die Wunde und die brannte höllisch. „Das verbessert die Wundheilung“, versprach ihm der Arzt. „Und wenn die Wunde nicht geschlossen bleibt, können wir das Ganze noch mal wiederholen!“ Dankend lehnte Senenmut ab. Soweit wollte er es nicht kommen lassen. Die Angst vor einer erneuten Wundbehandlung mit Termiten schien sich sehr positiv auf die Heilung seines Beines auszuwirken. Er konnte zunehmend Besserung verspüren. Die Wunden in seiner Seele würden allerdings wesentlich länger brauchen.

So segelten sie das Nildelta hinauf, vorbei an den Tempeln und Pyramiden längst vergangener Könige. Senenmut genoss die Ruhe und das sanfte Schaukeln im Wind. Die Segel blähten sich darin, rasch wurden sie den Nil aufwärts getragen. Rechts und links wurde der Horizont von der Wüste und ihrem goldenem Sand begrenzt. Manchmal reichte er bis ans Ufer des Nil. Doch dort, wo die Nilbewohner mit Schöpfrädern das Wasser des Flusses auf den trockenen Schlamm leiteten, brach der Boden auf und fruchtbares Grün erfreute das Auge. Palmen säumten die Ufer und bogen sich leicht im Wind. Üppig bestandene Felder versprachen reiche Ernte, die Ähren des Kornes bogen sich vor Last. Auch die Weinreben versprachen süße Genüsse. Das Vieh war wohlgenährt. Im Schilf schnatterten die Enten laut über die Störung durch die Heimkehrer und brachten sich im Papyrus in Sicherheit, der dicht an dicht das Ufer bewuchs. Er war das Symbol des Nildeltas, während in Oberägypten selbst die Lotosblume die Sieger begrüßte.

Auf dem Wasser war die Hitze nicht so spürbar die im Niltal herrschte. Der Wind brachte angenehme Kühlung. Senenmut hatte sich auf dem Deck niedergesetzt und sich mit dem Rücken an den Mast gelehnt. Er freute sich auf zu Hause und auf seine Familie, die er schon bald in die Arme schließen würde. Die Barke trug den Horusfalken als Zeichen des Pharao am Bug. Die Bewohner der Dörfer deuteten das Erscheinen der Barke richtig als Zeichen des Sieges. So verbreitete sich die Nachricht an Land schneller flussaufwärts als die Barken segelten. Als sie schließlich Theben erreichten, warteten schon viele Bewohner am Nilufer auf die Ankömmlinge. Überall herrschte Freude am Sieg des Pharao über die Mitanni, die es gewagt hatten Ägypten als Herrscher der Welt in Frage zu stellen. Thutmosis hatte die Maat, ihre Weltordnung ,wieder hergestellt zum Ruhme Ägyptens.

Senenmut hatte seine Pflicht erledigt und machte sich auf den Weg zu seiner Familie, die ihn gewiss nicht so früh zurück erwarten würde. Er hatte Mühe sich durch die ihm entgegen strömenden Menschen einen Weg zu bahnen, zumal er noch nicht so standfest auf seinem verletzten Bein war. Viele wollten direkte Kunde von ihm haben. Er trug ja immer noch die Uniform eines Soldaten der Wagenlenker und Bogenschützen, er hatte viel damit zu tun, allzu neugierige Frager abzuwehren.

Kurz bevor er das Haus seiner Eltern erreichte, konnte er seinen jüngeren Bruder Minhotep erkennen, der ebenfalls gegen die strömende Menge seinen Weg zu bahnen versuchte. Er hatte den Blick nach unten gerichtet und schien keine Notiz von dem Jubel zu nehmen, der um ihn herrschte. Seltsam gedrückt wirkte er gegen die fröhlichen Gesichter rundum. „Minhotep!“ rief Senenmut ihn an. Doch seine Stimme ging in dem allgemeinen Jubel unter. Etwas derber benutzte er nun seine Ellenbogen, um sich dichter an seinen Bruder heranzuarbeiten. Erboste Rufe drangen ihm hinterher, einer packte ihn an seiner Uniform und wollte ihn festhalten, aber ein gezielter Faustschlag auf die Nase überzeugte ihn abzulassen. Endlich war Senenmut näher gekommen und rief Minhotep erneut an. „Senenmut!“ erkannte er ihn sofort und lief auf ihn zu. „Allen Göttern sei Dank, dass du zurück bist!“ Er fiel Senenmut um den Hals und begann hemmungslos zu schluchzen. „Was ist denn passiert? So rede doch!“ Senenmut hatte eine schreckliche Ahnung. „Unser Vater Ramose ist in das Reich des Osiris eingegangen!“ schluchzte Minhotep. Jetzt stiegen auch in Senenmut die Tränen empor und weinend fielen sie sich in die Arme. So gingen sie ins Haus, wo ihn seine anderen Geschwister und seine Mutter Hatnofer empfingen. Sie waren ebenfalls überrascht über seine frühe Heimkehr und froh dass sie ihren Schmerz mit ihm teilen konnten. Die Trauer war so groß über den Tod des Vaters, so fragte auch niemand nach dem Grund seiner Heimkehr. Senenmut war froh darüber keine Auskunft geben zu müssen. Der einzige Mensch dem er es erzählen wollte war gegangen. Sein Vater wusste alles von ihm.

Dein Vater ist im Schlaf ins Binsengefilde gegangen. Er war ohne Schmerz, als Anubis ihn zu Osiris rief. Die Priester des Amun brachten ihn nach Hause.“ erzählte Hatnofer. Er fühlte sich schwach und wollte schlafen. Ich habe seine Hand gehalten, als er von uns gegangen ist. Er ist eingeschlafen und nicht mehr erwacht.“ Mit leeren Augen blickte sie in eine Ecke des Raumes. „Welchen Sinn hat denn mein Leben jetzt noch?“ Tröstend strich Senenmut über den Kopf seiner Mutter, die ihm plötzlich so schwach und zerbrechlich schien. „Weißt du noch, als wir beim Talfest im Totentempel die Bilder entzifferten?“ erinnerte sich Senenmut. „Du und Vater haben mir damals vorgeschlagen, als Schreiber im Tempel zu dienen. Er hat mich die Schrift gelehrt. Ich werde eurem Rat folgen und habe beschlossen, diese Gabe zu nutzen. Ich werde morgen zum Tempel gehen und die Priester fragen, ob ich an seine Stelle treten kann. So kann ich auch sein Andenken ehren und er wird durch uns weiterleben im Reich des Osiris!“

Seine Mutter war erleichtert. „Das ist sehr weise, Senenmut, Dein Vater wäre sehr stolz auf dich gewesen. Du weißt ja dass er es nie gut geheißen hat, als du zur Armee wolltest.“ Hatnofer erhob sich und drückte sich an seine Brust. Senenmut nahm sie in die Arme und blickte auf seine Familie, deren Oberhaupt er nun war. „Mein Vater, wo bist du nur?“ dachte Senenmut, seine Augen füllten sich erneut mit Tränen.



Der Bordlautsprecher riss mich zurück in die Wirklichkeit. „Sehr geehrte Fluggäste, wir haben unsere Reise- Flughöhe verlassen und befinden uns im Anflug auf Santorin. Wir bitten sie, ihre Plätze wieder einzunehmen, sich anzuschnallen und das Rauchen einzustellen!“ Jedes Mal, nachdem ich geträumt hatte, war ich wie benommen. Es war fast so als versuchte etwas mich daran zu hindern, in die Gegenwart zurückzukehren. Die Träume hatten begonnen, nach dem ich den Skarabäus für Peter betrachtet hatte. Von da an waren sie ständiger Begleiter meiner Nächte geworden. Zuerst unklar und verschwommen, konnte ich mich an kaum mehr erinnern, als dass ich geträumt hatte. Aber mancher Traum kehrte zurück, bis ich ihn sozusagen auswendig konnte.

Der Griff nach meinem Arm erinnerte mich daran, dass die Landung unmittelbar bevor stand. Entschuldigend lächelnd hatte meine Flug-Nachbarin nach einem Halt gesucht. Im scheidenden Licht des Tages konnte ich die Umrisse des Vulkankraters sehen die steil aus dem Meer aufragten und die Insel Santorin bildeten. Die Maschine wurde sichtlich durchgerüttelt. Der Meltemi, der allgegenwärtige Sommerwind sorgte dafür, dass nur erfahrene Piloten die Landung wagen durften. Erstaunlich präzise setzte die Maschine auf dem Rollfeld auf. Erleichtert klatschten die Fluggäste Beifall. Der Hinweis, sitzen zu bleiben, wurde kaum beachtet. Jeder hatte damit zu tun als Erster das Flugzeug zu verlassen. Ich ließ mir Zeit damit, denn in Griechenland gingen die Uhren etwas langsamer. Die Ersten unter den Fluggästen würden genau so lange warten müssen bis sie ihre Koffer sehen würden. So verließ ich als einer der letzten die Maschine und sog die Abendluft ein. Der Duft des Meeres war nur zu ahnen, da er vorläufig von Kerosin-Geruch überlagert wurde. Ein kleiner Bus brachte den Rest unseres Klubs in die Ankunftshalle wo wir auf die Mitflieger trafen die es so eilig gehabt hatten. Mehr unwillig förderte das Gepäckband die ersten Koffer zu Tage. Zu meinem inneren Triumph erspähte ich meinen Koffer als einen der Ersten. Nach den kurzen Einreise-Formalitäten wurden wir von dem zuständigen Reiseleiter empfangen. „Herr Menzl?“ Begrüßte mich die Dame von Odysseus-Tours. „Leider muss ich ihnen mitteilen, dass die Fähre nach Ios wegen des starken Seegangs Verspätung hat. Wir haben jedoch ein Zimmer im Hotel Amaryllis zur Übernachtung für sie in Perissa reserviert.“ Es gibt schlimmeres, als eine Nacht auf Santorin zu verbringen, und so ergab ich mich gerne in mein Schicksal. Im Hotel machte ich mich kurz frisch und nahm den Insel-Bus nach Thira. Dort empfing mich der geschäftige Tourismus am Kraterrand. Überall priesen die Wirte ihr Essen an. Obwohl es eigentlich schon recht spät zum Essen war, verführte mich der Geruch der Speisen zu einem Besuch in einer Taverne am Kraterrand. Tief unten konnte ich die Lichter der Kreuzfahrtschiffe sehen, die im Hafen ankerten. Bouzouki-Musik klang von der Dachterrasse, und ich hatte erstmals das Gefühl von Urlaub. Irgendwann im der Nacht kehrte ich zurück ins Hotel und zu meinem Träumen.

Eine Göttin

Fast die ganze Nacht hatten sie damit zugebracht das Leben von Senenmuts Vater noch einmal in Erinnerung zu bringen. Er war ein liebevoller Familienvater gewesen der seinen Kindern viel beigebracht hatte. Senenmut zum Beispiel hatte er immer wieder die alten Schriften erklärt und wurde nie müde, ihm so die Traditionen und Gebräuche ihrer Vorfahren zu vermitteln. Als Schreiber im Tempel des Amun war Ramose mit den Riten seines Volkes sehr vertraut. So wusste Senenmut von seinem Vater, dass seine Lebenskraft, sein Ka, und seine Seele, sein Ba, sich nur wieder vereinen konnten wenn sein Körper erhalten blieb. So war es die wichtigste und erste Aufgabe für die Familie, Ramoses Körper mumifizieren zu lassen. Das war die Aufgabe der Priesterschaft des Amun- Tempels.

Senenmut nahm seinen Weg gleich nach Sonnenaufgang in Richtung Tempel. Er wollte gleichzeitig darum bitten, in die Dienste der Priesterschaft eintreten zu dürfen. Er betrat die von Widdersphingen begrenzte Allee, die die beiden Tempelbezirke miteinander verband. Ein kleines Heiligtum befand sich mitten in Theben. Es beinhaltete nur wenige kleine Statuen die den lokalen Göttern gewidmet waren. Der Hauptteil der Tempelanlage bestand aus dem heiligen Bezirk Karnak, den Generationen von Pharaonen zu Ehren der Götter errichtet und erweitert hatten. Mauern grenzten den heiligen Bezirk von den Speichern und Wirtschaftsgebäuden ab die zum Tempel gehörten. Mächtige Pylonen bildeten den Eingang zum eigentlichen Tempel. Sie zu durchschreiten hieß heiligen Boden zu betreten, der den Göttern alleine gehörte. Kein lautes Wort wurde hier gesprochen , obwohl unzählige Menschen hier ein und ausgingen herrschte weihevolle Stille. Zwischen gigantischen Säulen die in den Himmel zu wachsen schienen standen überlebensgroße, steinerne Statuen längst vergangener Herrscher, die die Gunst der Götter beschworen und um eine lange Regierungszeit, um Gesundheit im hiesigen Leben und die Aufnahme ins Jenseits baten. Sie berichteten auch von den großen Taten ihrer Stifter, von Eroberungen fremder Länder zum Wohle des ägyptischen Volkes. Einige Statuen waren von den Nachfolgern in Besitz genommen worden, indem sie kurzerhand ihren eigenen Namen über die alte Inschrift meißeln ließen. Auf diese Weise waren manche Namen alter Herrscher in Vergessenheit geraten und nur die Götter wussten um sie. Senenmut schulte sein Wissen, studierte die alten Inschriften und übersetzte ihre Bedeutung, stumm die Lippen bewegend.

Ein Mann in weißer Priesterkleidung trat ihm entgegen. „Sei willkommen, Senenmut! Mein Name ist Hapuseneb. Ich bin Priester im Tempel des Amun und grüße dich auch im Namen aller derer, die deinen Vater gekannt haben.“ Er streckte ihm als Zeichen des Mitgefühls seine Hand entgegen. Er mochte kaum älter sein als Senenmut, hatte aber wohl schon im Tempel von Karnak eine bevorzugte Stellung erreicht, sonst hätte man wohl einen anderen geschickt um ihn zu empfangen. Er war kahl geschoren als Zeichen der Priesterwürde. „Wir alle vermissen deinen Vater. Er war klug und weise. Aber er wird im Binsengefilde im Reiche Osiris' ein schönes Leben haben. Du bist jetzt das Oberhaupt der Familie und wirst sein Andenken bewahren!“ Senenmut drückte plötzlich die Verantwortung, die er nun auf seinen Schultern spürte. Aber der Gedanke seinem Vater Ehre zu bereiten tröstete ihn etwas und festigte in ihm den Willen alles so zu tun,wie er es als Knabe beim Talfest von seinem Vater gehört hatte. Er fasste sich ein Herz und fragte Hapuseneb: „Mein Vater hat mich vieles darüber gelehrt, was seine Aufgaben hier im Tempel waren. Ich glaube, dass ich ihm ein würdiger Nachfolger werden könnte. Ich möchte dich bitten mich zu prüfen und in den Tempel aufzunehmen.“ „Das ist wahr,“ pflichtete ihm Hapuseneb bei. „Dein Vater hat immer voll Stolz über dein Geschick wie du die Schrift deutest gesprochen. Ich denke, ein Versuch könnte nicht schaden.“ Erleichterung zeichnete sich auf Senenmuts Gesicht ab. „Wenn du willst, kannst du morgen gleich anfangen. Ich werde dich einweisen.“ „Ich werde da sein.“ sagte Senenmut. „Dann kannst du auch gleich damit anfangen, deinem Vater ein würdiges Grab zu bereiten.“ fügte Hapuseneb hinzu. Senenmut wurde blass vor Schreck und Überraschung. Er wusste zu gut, was das bedeuten würde. Die Einbalsamierung der Toten war Aufgabe der Amun- Priester. Die Schreiber waren anwesend, um Protokoll über die Zeremonie und Einhaltung der Riten zu führen. Sein Vater indes war noch nicht einbalsamiert, und so würde er dabei sein, wenn die Vorbereitungen beginnen. Ihm schauderte davor, aber traute sich nicht zu widersprechen. Hapuseneb forschte in seinem Gesichtsausdruck nach einer Antwort. „Ich werde da sein.“ wiederholte Senenmut. „Ich danke dir für deine Großzügigkeit.“ sprach er und verabschiedete sich. Er beschloss, zum Schrein des Amun zu gehen und ein Räucheropfer für seinen Vater zu entzünden. Er kniete nieder und sprach die alten Gebete, die sein Vater ihn gelehrt hatte.

Er musste daran denken, wie er als Kind zwischen den Säulen des Tempels Versteck gespielt hatte und sein Vater so tat, als wenn er ihn nicht sehen würde. Voll Wehmut wünschte er sich die Zeit zurück, die nun für immer vergangen war. Sein Vater war ihm immer kluger Freund und Ratgeber gewesen, Senenmut konnte beim Gedanken daran, dass er nicht mehr da war, nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Ein leichtes Zittern lief durch seinen Körper.

Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter; Senenmut erschrak etwas, er hatte sich allein im Heiligtum gewähnt. Er drehte sich um und gleichzeitig war der Schreck vergangen, denn er blickte in das schönste Gesicht dass ihm jemals begegnet war. Es war eine junge Frau, die in ein golddurchwirktes Gewand der Hathor-Priesterinnen gekleidet war. Es schmiegte sich um ihren Körper und betonte ihre schlanken Formen mehr als es sie verhüllte. „Du musst deinen Vater sehr geliebt haben, ich habe dich beten gehört.“ sagte sie mitfühlend. Ihre Stimme klang so zart und wohlklingend, dass Senenmut sich wünschte sie möge weitersprechen, egal was auch immer. Ihre Augen blickten tief in die seinen. Sie waren tiefbraun mit hellen, bernsteinfarbenen Sprengseln, die wie goldene Körnchen erschienen. Ihre langen Wimpern waren schwarz getuscht nach Art der vornehmen Frauen, mit einem Lidstrich nach außen, der sie noch größer erscheinen ließ. Goldstaub auf den Lidern und den Wangen betonten die zarten ebenmäßigen Züge. Eine gerade, leicht geschwungene Nase verlieh ihrer Trägerin etwas Edles. Die vollen, lächelnden Lippen waren mit rotem Pulver das mit Öl vermischt war bemalt und glänzten ebenfalls durch ein Spur Goldstaub.

Sie hatte sich leicht zu ihm hinunter gebeugt, so dass das Kleid den Ansatz ihrer Brüste erahnen ließ. Zartbronzen schimmerte ihre Haut und verströmte zusammen mit ihren schwarzen Haaren einen Duft nach edlen Ölen, den Senenmut noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Ihre Erscheinung linderte seinen Schmerz. Immer noch ruhte ihre zierliche Hand auf seiner Schulter. Senenmut fühlte eine unglaubliche Wärme die in ihm aufstieg, um nichts in der Welt hätte er gewollt, dass sie ihn losließ. „Ich möchte dich nicht stören in deiner Andacht.“ sagte sie jedoch und richtete sich wieder auf. Senenmut hatte diese wundervolle Erscheinung stumm gemacht und ehe er etwas sagen konnte hatte sie ihn wieder verlassen. Nie in seinem Leben hatte er so etwas Schönes gesehen. Ihm war eine Göttin erschienen.